Die Multiple Sklerose (MS) gilt als die Erkrankung der 1000 Gesichter: Sie tritt bei jedem Menschen mit MS mit anderen Beschwerden in Erscheinung, auch jeder Verlauf hat eine individuelle Dynamik. Die Auswahl der MS-Therapie erfolgt daher individuell. Dabei ist es wichtig, dass Behandelnde und Menschen mit MS ein Team bilden und gemeinsam die Therapieentscheidung treffen, sodass die Therapie optimal in den Alltag passt. Dieser Ratgeber gibt einen kurzen Überblick über Hintergrund, Diagnose und Therapie der MS sowie Hinweise zum Netzwerk „Aktiv mit MS“ und weiteren Informationsmöglichkeiten.
Was ist Multiple Sklerose? Hintergrund, Zahlen und Fakten
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung im zentralen Nervensystem (ZNS), zu dem neben dem Gehirn auch das Rückenmark gehört. Bei der MS greifen körpereigene Immunzellen Nervenzellen und ihre Ausläufer an. Diese Ausläufer sind von einer Isolierung, den sogenannten Myelinscheiden, umgeben. Ausgeprägte Schädigungen der Myelinscheiden führen zu einem Erkrankungsschub mit typischen MS-Krankheitsanzeichen, wie z.B. Sehstörungen Taubheitsgefühle, starke Müdigkeit (Fatigue) sowie Beeinträchtigungen des Bewegungsapparates (z. B. Lähmungen) oder der geistigen Fähigkeiten (z. B. Konzentrationsstörungen). Schübe kommen zu Beginn der schubförmigen MS-Erkrankung durchschnittlich alle 2–3 Jahre vor, dabei treten dann z.B. die beschriebenen Symptome auf und halten meist für Tage bis Wochen an. Anschließend bilden sie sich dann auch spontan meist komplett oder unvollständig zurück.1,2
Zahlen und Fakten rund um die MS:
- Mehr als 280.000 Menschen sind in Deutschland an MS erkrankt.1
- Die Erkrankung wird meistens bei Menschen im Altern zwischen 20 und 40 Jahren diagnostiziert. Frauen sind von der schubförmigen MS 2- bis 3-mal so oft betroffen wie Männer.1,2
- Die häufigste MS-Verlaufsform ist zu Krankheitsbeginn mit 85 % die schubförmig-remittierende MS (in Schüben auftretend mit vorübergehenden Pausen, in denen sich die Erkrankung durch nicht durch neu-auftretende Symptome bemerkbar macht). Diese kann in eine sekundär-progrediente MS übergehen (schreitet dann stetig voran).2
- Ca. 15 % der Menschen mit MS leiden an einer primär-progredienten MS (es treten schon von Beginn an keine Schübe und Pausen auf, die Krankheit schreitet stetig voran).2
- Als Ursache der MS wird ein Zusammenspiel diverser Faktoren angenommen, z. B. Umwelteinflüsse wie Ernährung und Infektionen sowie eine genetische Veranlagung.1
- Die Erkrankung ist weder psychisch bedingt noch ansteckend. Es handelt sich bei MS zudem nicht um eine Muskelerkrankung oder -schwäche.1
- Nicht jede MS-Erkrankung führt zu einem Leben im Rollstuhl: Durch eine frühe individuell angepasste und langfristig durchgeführte Behandlung ist für viele Betroffene ein aktives Leben mit wenigen Schüben möglich.1
Diagnose der MS
Da die MS wie zuvor beschrieben vielfältige Symptome verursacht, gibt es kein alleinstehendes Merkmal oder Symptom, welches die Diagnose einer MS ermöglicht. Vielmehr ist Betrachtung der verschiedenen klinischen Symptome in Kombination mit bildgebenden Verfahren und weiteren diagnostischen Verfahren sowie der Ausschluss anderer möglicher Ursachen notwendig, um die Diagnose stellen zu können.1
Neben der klinischen Erscheinung, also den bereits genannten möglichen Symptomen, sind besondere Merkmale in der Magnetresonanztomographie (MRT) kennzeichnend für die MS. Dort lassen sich im Falle einer MS herdförmig auftretende Entzündungen (Läsionen) feststellen, die eine zeitliche und örtliche Ausbreitung (Dissemination) aufweisen. Damit ist gemeint, dass Läsionen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und verschiedenen Stellen im Gehirn oder Rückenmark zu finden sind. Die genaue Diagnosestellung erfolgt dann anhand der sogenannten McDonald-Kriterien. Weiterhin können diagnostische Verfahren wie die Untersuchung von Nervenwasser (Liquor) oder neurophysiologische Messungen (Evozierte Potentiale) angewendet werden.1,2
Behandlung der MS
Die Behandlung der MS wird auf jeden Menschen mit MS individuell ausgerichtet, dabei wird zum Beispiel das Alter und Geschlecht berücksichtigt, die Lebenssituation und Lebensplanung (insbesondere auch Familienplanung) sowie Begleiterkrankungen und die gegenwärtige Krankheitssituation. Grundlegend lässt sich die MS-Therapie in drei Säulen aufteilen:
- Die (kurzfristige) Therapie eines aktuellen Schubes. Das Ziel der kurzfristigen Schubtherapie ist ein schnelles Abklingen der Symptome, dabei wird in der Regel mit Kortison behandelt.1,2
- Die (langfristige) verlaufsmodifizierende Therapie. Ziel der langfristigen MS-Therapie ist zum einen, die Häufigkeit und Schwere von Schüben zu verringern. Zum anderen soll das Fortschreiten der Erkrankung so gut wie möglich aufgehalten werden. Für die MS-Therapie gibt es mittlerweile viele Medikamente. Schon seit über 20 Jahren sind z.B. Substanzen im Einsatz, welche von Menschen mit MS regelmäßig unter die Haut oder in die Muskulatur gespritzt werden. Außerdem gibt es diverse Wirkstoffe, die als Tablette eingenommen oder als Infusion in die Blutbahn verabreicht werden.1,2
- Die symptomatischen Therapien. Die symptomatische Behandlung erfolgt symptomorientiert und zielt darauf ab, Symptome zu lindern und körperliche und psychische Beeinträchtigungen vorzubeugen. Hierfür stehen vielfach auch nicht-medikamentöse Therapien zur Verfügung, z. B. Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Psychotherapie.1
Langfristige verlaufsmodifizierende Therapien und symptomatische Therapien werden häufig kombiniert, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen und die Lebensqualität optimal zu fördern und zu erhalten.
Gemeinsame Therapieentscheidung und Therapieadhärenz
Da die MS bislang noch nicht heilbar ist, muss die MS-Therapie langfristig durchgeführt werden. Damit die Therapie auch auf Dauer möglichst gut wirksam ist, ist es somit wichtig, dass sie entsprechend dem vereinbarten Therapieplan angewendet wird und nicht ohne Grund und Rücksprache mit dem Behandlungsteam pausiert oder ausgesetzt wird, dies nennt man Therapieadhärenz. Studien haben gezeigt, dass eine hohe Therapieadhärenz bei Menschen mit MS zu weniger Beeinträchtigungen und einer höheren Lebensqualität führt. Dennoch gibt es vielfältige Gründe, die zu einer niedrigen Therapieadhärenz führen können, z. B. Nebenwirkungen durch die Therapie, vorübergehende (andere) Krankheiten oder schlicht das Vergessen der Einnahme bzw. der Injektion. Auf der anderen Seite gibt es auch Aspekte, die die Therapieadhärenz steigern können. So wurde z. B. gezeigt, dass ein Gespräch zwischen Behandelnden und Menschen mit MS über Adhärenz zu Beginn der Behandlung die Therapieadhärenz steigern kann. Außerdem wirkt sich die generelle Zufriedenheit mit der Therapie positiv auf die Adhärenz aus. 3
Somit ist die gemeinsame Therapiewahl durch Behandelnde und Menschen mit MS unter Berücksichtigung der speziellen Lebenssituation sowie eine intensive Aufklärung und gute Therapieadhärenz insbesondere bei MS sehr wichtig, um Beeinträchtigungen vorzubeugen und die Lebensqualität zu erhalten. Neben Ärztinnen und Ärzten gibt es in vielen Praxen auch MS-Schwestern, mit denen Menschen mit MS auch über Therapiemöglichkeiten, Probleme und Sorgen sprechen können.
"Aktiv mit MS" und weitere Informationsmöglichkeiten
Auf unserer Webseite www.aktiv-mit-ms.de finden Sie aktuelle Themen und Hintergrundinformationen rund um die MS. Zudem werden auf der Webseite viele praktische Tipps zum Leben mit MS und Trainings z. B. verschiedene kognitive Trainings angeboten.
Gerade zu Beginn der MS-Behandlung ist eine intensive Therapiebegleitung vorteilhaft. Der Aktiv mit MS Patient:innenservice bietet eine umfangreiche Betreuung rund um das Leben mit MS.
Der Aktiv mit MS Patient:innenservice unterstützt Menschen mit MS zusätzlich zum Beratungsangebot der Behandelnden, sei es zum Beispiel mit einem Injektionstraining durch eine MS-Nurse, durch die Aktiv mit MS App oder durch diverse Therapie- und Unterstützungsmaterialien.
Für weitergehende Informationen zur MS existiert seit März 2022 außerdem eine Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zum Thema MS, die explizit für Patientinnen und Patienten entwickelt wurde. Die Leitlinie kann über diesen Link (Patientenleitlinie Multiple Sklerose – DGN e. V. (hirnstiftung.org)) als PDF geladen werden. Weitergehende Informationen zu den gängigen MS-Therapien stellt die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) bereit.
REFERENZEN:
1 Was ist MS? Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), 2023. Abrufbar unter: https://www.dmsg.de/multiple-sklerose/was-ist-ms. Zuletzt aufgerufen am: 25.04.2023.
2 Leitlinie Multiple Sklerose für Patientinnen und Patienten. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), 2022. Abrufbar unter: https://hirnstiftung.org/wp-content/uploads/2022/06/DHS_Patientenleitlinie_Mulitple-Sklerose_Stand_Maerz-2022.pdf. Zuletzt aufgerufen am: 25.04.23.
3 Devonshire, V. et al. The Global Adherence Project (GAP): a multicenter observational study on adherence to disease-modifying therapies in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis. European Journal of Neurology 18, 69-77 (2011). https://doi.org/10.1111/j.1468-1331.2010.03110.x