Caregiver: Mit negativen Emotionen umgehen

 

Emotionen zulassen 


Wie das Zulassen negativer Emotionen uns als Pflegepersonen helfen kann

Macht uns das Annehmen unserer „negativen“ Gefühle zu schlechten Pflegepersonen. Tatsächlich ist das Annehmen unserer Gefühle der erste Schritt auf dem Weg zur Heilung, sagt Susanne White.

Die Pflege einer nahestehenden Person kann zwar sehr erfüllend sein, aber sie kann auch mit emotionalen Stolpersteinen gepflastert sein. Pflegepersonen haben häufig mit Gefühlen wie Erschöpfung, Schuldgefühlen, Wut, Traurigkeit und sogar Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht zu kämpfen.

Was weniger häufig vorkommt, ist, dass pflegende Menschen sich die negativen (und daher komplizierten) Gefühle eingestehen, die sie möglicherweise verspüren. Nachdem sie sich wochen-, monate- oder jahrelang um das emotionale und körperliche Wohlbefinden einer anderen Person gekümmert haben, denken viele Pflegende, dass das Eingestehen von Frustration, Hoffnungslosigkeit oder Depression ein Luxus sei, den sie sich nicht leisten können.

„Fürsorge-Kämpferin“ Susanne White erging es ähnlich – bis sie feststellte, dass die Akzeptanz ihrer positiven wie negativen Gefühle der erste Schritt zur Heilung war.

Wie mein Vater es zu Lebzeiten schon handhabte, ist auch mein sprichwörtliches Glas meist halb voll. Ich kann mich um andere und auch um mich selbst kümmern, Mut und Selbstwertgefühl geben und zeigen, wie sehr ich daran glaube, dass alles gut werden wird. Und meistens geht es mir wirklich so. Im Leben und in der Pflege habe ich inzwischen gelernt, dass ich auch aus schlimmen Ereignissen viel lernen kann, wenn ich es zulasse – und dass nichts ewig währt.

Aber es gibt auch Momente, in denen ich – wie alle anderen auch – in kürzester Zeit immer wieder aus der Bahn geworfen werde. Und auf einmal fühlt sich „Es wird schon alles gut“ ganz weit weg an. Das Glas ist nicht mehr voll und ich bin einfach zu kaputt und zu niedergeschlagen, um es wieder aufzufüllen.

Wenn ich mich so niedergeschlagen fühle, breche ich normalerweise in Tränen aus und kann nicht mehr aufhören zu weinen, egal wo ich bin. An so einem Tag ist es mir einmal so ergangen, dass ich bestimmt 10 Minuten lang in meinem Auto auf einem Arztparkplatz fürchterlich geheult habe. Es gab für mich kein Halten mehr und die Taschentücher, die ich benutzt hatte, türmten sich auf dem Boden der Beifahrerseite.


Als pflegende Person ist es wichtig, mir meine Gefühle einzugestehen

Zum Glück habe ich endlich gelernt, mich fallen zu lassen und einfach hemmungslos drauflos zu weinen. Erst in den letzten Jahren habe ich es geschafft, mir diesen Luxus zu gönnen, und ich bedaure sehr, dass ich es nicht schon früher getan habe.

Tatsache ist, dass ich kaputt war. Ich hatte genug von all den Verantwortlichkeiten, den endlosen Listen und den emotionalen Belastungen, die das Leben als pflegende Person mit sich bringt. Ich war erschöpft, traurig, enttäuscht und fertig. Ich hatte keinen Kampfgeist mehr. Das ist ein ungewöhnlicher Zustand für mich und das machte mich noch trauriger. Ich konnte nicht anders, als zu weinen und zu weinen.

Vor kurzem erhielt ich eine E-Mail von einer Pflegeperson, die sich in der gleichen Situation befand. Sie tat mir wahnsinnig leid und ich sagte ihr, dass ich sie verstehe und sie nicht allein ist. Es geht nicht darum, toxische Positivität – also zwanghaft gute Laune – zu erzwingen und ihr zu sagen, sie solle weitermachen, "sich aufraffen" oder positiv denken. Es geht darum, ihr zu vermitteln, dass ich sie für tapfer und großartig halte und dass es mir leidtut, dass sie so stark unter dieser Situation leidet. Es geht darum, sie wissen zu lassen, dass ich sie sehe und höre und dass ich ihr glaube, wenn sie sagt, dass sie nicht mehr kann. Wenn es zu viel wird, weinen die Engel – und wir auch.


Ich verdränge „schlechte“ Gefühle nicht und versuche nicht, sie schnell zu vertreiben.

Es gibt keine Patentlösung oder einen Zaubertrick, um dieses Gefühl des „Nicht-mehr-Kämpfen Wollens“ loszuwerden. Das Gefühl hat einen eigenen Zeitplan und eine eigene Agenda. Es fühlt sich schrecklich und belastend an und kann uns den Atem rauben und erschöpfen. Doch wir müssen den Raum, den es einnimmt, anerkennen und durchhalten, bis das Gewitter vorüber ist. Dann können wir mit etwas Selbstfürsorge die Spuren beseitigen, die es hinterlassen hat.

Normalerweise trifft es mich zum Glück nur ein oder zwei Tage lang hart, danach kann ich mich allmählich wieder erholen. Diese Tage haben den seltsamen Beigeschmack, dass das Weinen gut für mich ist, auch wenn es unter großem Druck geschieht. Ich werde in der Regel zur Akzeptanz und zum Aufgeben gedrängt, ohne dass ich es will. Das ist die einzige Möglichkeit, die mir zu bleiben scheint, wenn solche Gefühle überhandnehmen.

Ich muss das Gefühl der Hoffnungslosigkeit akzeptieren. Ich muss mich einer höheren Macht geschlagen geben, um Dinge in Ordnung zu bringen, die ich nicht begreifen, geschweige denn beheben kann.
Bis jetzt habe ich es noch immer geschafft. Ich glaube nie, dass ich es schaffen werde, und ich weiß auch nicht wie, aber dann tue ich es trotzdem. Und es überrascht mich immer wieder, dass irgendwie innere Ruhe einkehrt. Meine Tränen versiegen schließlich, ich stehe erschöpft auf und mache weiter.


Einen Zusammenbruch akzeptieren heißt, mich selbst zu heilen.

Ich möchte, dass Sie wissen, dass es in Ordnung ist, am Ende seiner Kräfte zu sein und das Gefühl zu haben, dass jeglicher Kampfgeist Sie verlassen hat. Sie sind deshalb kein schlechter Mensch, keine schlechte fürsorgende Person und außerdem nicht verrückt. Es bedeutet lediglich, dass Sie ein Mensch sind – und überfordert. Sie verdienen es, sich auszuweinen und haben das Recht, zusammenzubrechen. Sie sind dazu berechtigt und es ist nicht das Ende der Welt oder ein immerwährender Zustand.

Erlauben Sie sich also, zu kapitulieren. Sie werden sich wieder aufraffen und weitermachen, denn Sie sind Fürsorge-Kämpferinnen und Kämpfer. Das ist unsere Aufgabe. Wir öffnen unseren Kummerkasten, schreien zum Himmel, vergraben den Kopf in den Händen, suchen Halt und lassen uns eine Weile hängen. Dann, wenn wir dazu bereit sind, stehen wir wieder auf und machen weiter, als wäre nichts passiert.

Aber Sie und ich wissen, dass etwas passiert ist. Weil wir es zugelassen haben. Wir haben es gestattet. Es ist unser Recht und Privileg, zusammenzubrechen, denn danach können wir uns wieder aufraffen und uns selbst wieder zusammensetzen. Das macht uns zu den Tapfersten der Tapferen.


Sich als Pflegeperson seinen Gefühlen zu stellen, ist eine wahre Form der Selbstliebe.

Seien Sie also liebevoll und sanft zu sich selbst und bereit, sich miserabel zu fühlen. Sie sind nicht allein.

Ich sehe Sie. Stürme gehen vorbei und lassen uns unsere Schutzdächer stärker bauen. Wir sind die Überlebenden. Und die Überlebenden machen einen Unterschied in der Welt und halten sie am Laufen.



Steckbrief Susanne White

 

Autorin: Susanne White

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